Sind Wir Schon Da?
Im November 2019, während der ersten Vorbereitungen für die Produktion von WHERE TO LAND wurde Hal Hartley von einigen Schauspieler:innen und Teammitgliedern in den Büros der Possible Films interviewt. Direkt gegenüber dem Gebäude, in dem Hartley seit 10 Jahren wohnt.
F: Gab es ein Ereignis oder eine Idee, die Dich zum Schreiben des Drehbuchs inspiriert hat?
A: Es gab so einige. Am Anfang, von 20212 bis 2017, arbeitete ich gelegentlich an einem Text, von dem ich glaubte, es würde ein Roman. Manchmal hieß er schon WHERE TO LAND, aber meistens nannte ich ihn OUR MAN. Das Drehbuch für einen Film entstand aus ein paar Ideen, die im Roman schon enthalten waren. Obwohl sie sehr unterschiedlich sind, sind beide, der Roman und das Drehbuch inspiriert von der Tatsache, dass ich mich mit meinem „Letzten Willen“, meinem Testament beschäftigen musste. Und ich musste mich in seinen letzten Jahren um meinen Vater kümmern. Nicht zuletzt war es der Wunsch oder auch die Neugier, was passiert, wenn man so spät im Leben noch einmal seine Berufung ändert.
F: Worauf können neue und treue Zuschauer:innen sich freuen?
A: Mal sehen, was ich hinkriegen werde. Ich glaube, sie werden eine Menge Komisches sehen über Menschen, die alle gleichzeitig mehrere Gespräche führen, ein sehr genau strukturiertes Sprachchaos. So etwas habe ich auch vorher schon gemacht, aber anders. Über die Jahre bin ich sicherer geworden, wie ich Menschen bewege, wie ich ihre Sprache lenke und wie wir sie filmen. Und das führt auch dazu, Neues auszuprobieren. Ich entwickle Geschichten gerne aus alltäglichen Ereignissen So wurde die Sache mit dem letzten Willen und dem Testament sofort zu einem eigenen Projekt. Das war während der Jahre, in denen ich meinem Vater half, als der Tod in Reichweite, aber keine Bedrohung war. Die Art von Gesprächen, die man mit den Eltern, Geschwistern, Tanten und Onkeln führt. Diskussionen über die einfachsten, praktischsten, banalsten Dinge der Welt bekommen plötzlich eine ungeheure Bedeutung. Und das ist oft ziemlich lustig.
F: Hast Du das Gefühl, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, diesen Film zu machen, für Dich und für die Welt?
A: Für mich? Sicher. Er ist wirklich unvermeidlich. Er ist zwar nicht autobiografisch, aber er ist persönlich. Das interessiert mich gerade, hier und jetzt. Es gibt natürlich Überschneidungen zwischen dem Persönlichen und dem Allgemeinen, aber es gibt auch lustige Dissonanzen.
F: Ist die Welt bereit für solche Filme?
A: Ich glaube, es wird der Welt keinen Schaden zufügen, vorausgesetzt, die Welt bemerkt es überhaupt. Aber ja, ich glaube, sie ist es. Es wäre schwierig, etwas zu erreichen, wenn ich dächte, niemand auf der Welt würde darauf reagieren.
F: Wird es Dein letzter Film sein?
A: Kann sein. Das wäre auch nicht schlecht. Ich will schon seit langer Zeit Prosa schreiben. Aber ich kann Filme machen, und wenn sich die Gelegenheit ergibt, dass ich bezahlt werde und gute Arbeit leisten kann, dann mache ich es – solange ich die Energie dafür aufbringe. Ich hoffe, ich lebe noch lange, und das hängt zusammen. Es macht keinen Spaß, mit mir zusammen zu sein, wenn ich nicht irgendetwas tue.
F: Filmemachen hat immer auch mit dem Geschäftlichen zu tun. Wie man Geld auftreibt, wie man das Vorhaben finanziert...
A: Das gehört dazu.
F: Wie hast Du es geschafft, Dich an veränderte Trends, Annahmen und Erwartungen anzupassen? Was in den 90er Jahren als Autorenfilm angesehen wurde, scheint heute etwas anderes zu sein. Wie hat all das die Art und Weise beeinflusst, wie Du Deine Kunst heute gestaltest?
A: Ich glaube, ich hatte schon als Teenager diese Einstellung, diese besondere Veranlagung. Ich kann mich nicht erinnern, jemals frustriert gewesen zu sein, wenn ich nicht das Material hatte, das ich für die Arbeit brauchte, egal, ob es um Musik, Zeichnungen, Malerei oder später Filme ging. Ich war glücklich mit allem, was mir zur Verfügung stand. Ich glaube, als ich anfing, professionell Filme zu machen, ist viel von dieser Haltung geblieben, auch, als ich etwas Neues lernte und viel größere Quellen zur Verfügung hatte. DIY. Do it yourself. Mach es selber oder mach es mit Deinen Freunden. Denn ich habe immer Hilfe gebraucht. Trotzdem habe ich versucht, mich auf meine Arbeit und auf meine Ziele zu konzentrieren und mich nicht von den Etiketten beeinflussen zu lassen, die mit dem Geschäft verbunden sind. Ich versuche immer noch, über das Filmemachen und den Vertrieb möglichst die Kontrolle zu behalten, denn für mich ist das kein Job, es ist meine Arbeit, mein Leben, das Wichtigste, das ich zu dieser Welt, in der ich lebe, beitragen kann. Ich will keine unnötigen Kompromisse eingehen. Denn ich muss sowieso andauernd Kompromisse machen. Aber ich entscheide, welche Kompromisse ich mache und wie. Trotz allem will ich nicht unverständlich oder schwierig sein, auch wenn manche mich dafür halten. Dagegen kann ich nichts tun. Denn mein gesamtes kreatives Leben lang und schon seit meiner Kindheit habe ich versucht, Widerstand zu leisten gegen selbstgefälligen Jargon, gegen das Herunterbrechen komplexer Realitäten auf meinungsstarke Schlagworte. Darum habe ich diesen nicht immer ganz korrekten Kurzschlussreflex gegen jeden angeblich anerkannten Marktwert oder was auch immer, jede akzeptierte Weisheit oder Ideologie. Trotzdem habe ich mich über das Geschäft informiert. Und über die Technologie. Keiner will etwas schaffen, das niemand sieht. Beim Filmemachen gehören Ökonomie und Ästhetik zusammen. Und das gilt für den ganzen Prozess, angefangen beim Schreiben bis zum Schnitt und den Verhandlungen mit Verleihern, Marketing- und Werbeleuten. Ich habe den Ruf, auf ruhige Art schwierig, selbstgefällig, naiv, anmaßend oder sogar arrogant zu sein. Ich glaube, das bin ich nicht, aber ich vertraue meinen Instinkten, und darüber bin ich froh, denn darum bin ich immer noch im Geschäft, darum bringe ich mein Bewusstsein für meine Arbeit voran, alles, vom Anfang bis zum Ende, denn alles ist Teil derselben Sache.
F: Hat das Deine Herangehensweise ans Filmemachen verändert?
A: Ich glaube nicht. Nicht in dem Sinne, wie ich schreibe, wie ich Bilder mache und schneide. Sobald wir unsere Projekte finanziert haben, gehe ich genauso ans Filmemachen heran wie immer. Nur die Art der Finanzierung ist anders. In den neuen Technologien habe ich die Möglichkeit entdeckt, Szenen radikal anders zu gestalten. 2011 zum Beispiel entwarf ich MEANWHILE, einen Film mit vergleichsweise kleinem Budget, indem ich auf Ausstattung verzichtet habe, denn das Equipment war viel kleiner, leichter, erforderte sehr viel weniger Licht, und die Lampen, die wir eingesetzt haben, würden nicht mehr heiß. Das hat meine Ideen über Ausstattung verändert. Indem ich Orte fand, die perfekt waren so wie sie sind. Es ist unglaublich, wie sehr das den Druck am Set verringert. Und so bieten sich kreative Ideen, an die wir gar nicht gedacht hatten. Davon haben wir auch bei NED RIFLE viel beibehalten.
F: Stimmt, wir haben sehr wenig gebaut oder verändert.
A: Es macht Spaß, eine starke Ästhetik und kompositorische Strenge zu übertragen auf das, was man an den Orten vorfindet, und allem, was man betrachtet, ein konsistentes Design überzustülpen.
F: Auch die Art, wie Du WHERE TO LAND geschrieben hast, trägt dazu bei, glaube ich.
A: Da ist es noch offensichtlicher, weil ich das Drehbuch für diese Nachbarschaft und meine Wohnung geschrieben habe, Orte, durch die ich jeden Tag gehe. So hatte ich Zeit, die Szenen selbst abzulaufen und zu entscheiden, wie die Handlung verlief. Ich musste lachen, als ich das Drehbuch vor ein paar Monaten gelesen und mir Sorgen gemacht habe über all die Leute in einigen Szenen in einer so kleinen Wohnung wie meiner.
F: Wie sollen wir die da alle reinkriegen?!
A: Genau. Darum ist es gut, sich die THEORY OF ACHIEVEMENT von 1991 nochmal anzuschauen. Die Wohnung in Williamsburg war da noch kleiner. Da lebte mein Freund Steven. Da waren genauso viele Leute, aber die Ausrüstung war viel schwerer. Wir haben lustige Lösungen gefunden. Zum Beispiel haben wir die Leute gezwungen, bei ihren Wortwechseln in diesen kleinen Raum nur ihre Köpfe und Hände zu bewegen. So schufen wir diese verrückten überfüllten Tableaus mit vielen kleinen, schnellen Bewegungen.
F: Der Raum und die Umgebung beeinflussen also Dein Schreiben?
A: In diesem Fall ja. Aber im Allgemeinen nicht. WHERE TO LAND kann natürlich in jeder Wohnung stattfinden. Aber dieses konkrete Beispiel half mir, mir Dialoge und ihren Rhythmus vorzustellen, ihren Tonfall, wie Handlungsmöglichkeiten Aufmerksamkeitsverschiebungen ermöglichen. Inszenierungen eben. Wie ich immer wieder sage: meine Filme bauen auf Dialogen auf und werden von den Darstellern vorangebracht. Wenn die Darsteller und ich den Dialog gut verstehen, können wir überall auftreten. Wir finden uns selbst und lassen uns die Umgebung auf uns wirken. Und das macht Spaß – auch wenn’s manchmal riskant ist.
F: Hattest Du immer eine klare Vorstellung davon, an welches Publikum sich Deine Art des Filmemachens richtet?
A: In meiner Vorstellung ja. Alle, die sich dafür interessieren. Aber damals war das keine große Hilfe. Genauso wenig wie die Beiträge der Profis, die für so etwas eingestellt wurden. Erst jetzt, seit ich meine Filme selbst vertreibe, weiß ich, wer und wo das Publikum ist. Aber das alles beeinflusst nicht die Art, wie ich schreibe.
F: Es muss aber beruhigend sein zu wissen, dass das Publikum da ist.
A: Klar. Man muss zumindest glauben, wenn auch nicht wissen, dass es ein Publikum gibt, wie groß auch immer es ist. Aber wenn man nicht gerade Produkte für einen ganz bestimmten Markt herstellt, muss man sich die Zuschauer als die vorstellen, die sehen wollen, was man als Nächstes vorhat, wie man sich verändert haben könnte, wie man sich entwickelt. Das ist dann wirklich ein Publikum, nicht einfach Kunden.
F: In den letzten Jahren hast Du ein Archiv Deiner Filme geschaffen und es als Bibliothek vorgestellt. Inwiefern war auch das eine kreative Übung?
A: Heutzutage ist es wie bei einer Designfirma. Natürlich geht es um die Auswahl der Filme, aber auch um Fotografie, Texte, Musik und darum, wie all das stimmig und präzise zusammengebracht wird. Das ist befriedigend. Und dafür gibt es ein Publikum. Ich bin froh, dass ich all dieses Material habe. Aber das Archiv, diese Bibliothek, nähert sich ihrer Vollendung. In nicht allzu ferner Zeit muss ich etwas anderes machen. Es war interessant als kreativer, redaktioneller Prozess, das gesamte Werk noch einmal zu durchdenken, sorgfältig und Stück für Stück. Wie gesagt: stimmig und präzise.
F: Vermutlich sind nicht viele Künstler gute Manager ihres eigenen Archivs.
A: Ich habe meinen inneren Bibliothekar. Wenn ich etwas tue, möchte ich wissen, wo es ist, ich möchte es schützen, eine eigene Kopie besitzen, es studieren und dadurch, wenn möglich, besser werden. Es ist auch hilfreich, auf frühere Arbeiten zurückzukommen, wenn ich etwas Neues mache. Da entdecke ich gute Lösungen für ähnliche Probleme, egal ob beim Schreiben, Regie führen oder Schneiden.
F: Denkst Du, wenn Du auf frühere Arbeiten zurückblickst, auch darüber nach, wie Dich Dein Vorgehen verändert hat? Bemerkst Du Entscheidungen, die Du früher getroffen hast, heute anders treffen würdest?
A: Ja. Ich sehe Dinge, die sich verändert haben, andere sind gleich geblieben. Die Grammatik der Dialoge und die physische Handlung der Darsteller haben sich entwickelt, sind über die Jahre aber ziemlich konstant geblieben. Zumindest seit ich begriffen habe, dass das für mein Bedürfnis, in erster Linie Filme zu machen, grundlegend war.
F: Mit Deinen eigenen Worten aus der Crowdfunding-Kampagne: „Die unglaubliche Wahrheit all dessen ist, dass man sich ständig verändert. Ich stelle mir dieselben Fragen wie mit 20 Jahren. Was möchte ich sein? Wie möchte ich das erreichen. Wann weiß ich, wenn überhaupt, ob ich angekommen bin?“ Hast Du den Eindruck, dass Dich dieses Drehbuch der Landung näher gebracht? Oder dem Wissen, wo Du landen wirst? Und wird es auch uns helfen, es herauszufinden?
A: Ich glaube, das Drehbuch schafft es, Gefühle und Gedanken zu vermitteln, die mir seit etwa 20 Jahren im Kopf herumschwirren. Wahrscheinlich ist es das bisher bewussteste und kompromissloseste Schreiben. Ich habe lange dafür gebraucht. Ich habe nie das Gefühl gehabt, ich müsste es schnell zur Produktionsreife bringen. Und das will etwas heißen. Ich habe versucht, für mich selbst etwas herauszufinden. Wie gesagt, es begann als ein Roman. Das war ein früher Versuch, von meinem lebenslangen Beruf als Filmemacher zum Schreiben von Fiktion und Prosa überzuwechseln. Ob ich darin erfolgreich war oder nicht, wird sich daran herausstellen, wie ich den Rest meines Arbeitslebens verbringe. Ja, zumindest hat es mich dazu gebracht, eine Richtung zu erkennen. Die Ironie des Titels besteht natürlich darin, dass wir nie landen werden. Wir werden immer auf See sein. Und doch haben wir immer dieses Verlangen nach Vollendung, nach Lösungen.
OUR MAN (Auszug)
Als er die Nachricht, die er drei Wochen lang an die talentierte, bezaubernde und berühmte Schauspielerin in Brooklyn formuliert hat, noch einmal liest, kommt er zu dem Schluss, dass das, was gestern noch kultiviert und selbstverleugnend erschien, heute affektiert, steif und zu formal klingt. Also fängt er noch einmal an und kommt gleich zum Punkt: Habe Ihren neuen Film gesehen. Sie waren großartig. Ich habe jetzt noch mehr Angst denn je, ob Sie das Drehbuch, das ich Ihnen geschickt habe, mögen werden. Ich hoffe, bald von Ihnen zu hören. Mit freundlichen Grüßen usw.
Klingt gut, denkt er und schickt die Nachricht los. Das wird ihm moralische Stärke verleihen, wenn er sich zu einem Kaffee um 14h mit seinem Agenten Edward trifft, der ihm vorwirft, er würde sich nicht genug anstrengen, um berühmt und einflussreich zu werden. Er zieht ein frisches Hemd an und macht sich auf den Weg zur U-Bahn. Ihn beschäftigt noch immer sein neuester Ehrgeiz, Hersteller von Designer-USB-Sticks zu werden und sich in Frieden zur Ruhe zu setzen. Er kommt an dem 300 Jahre alten Friedhof vorbei, auf dem er oft sitzt und liest. Er beobachtet dann einen Mann, der etwas älter ist als er selbst, den Friedhofswärter, der einen Haufen abgefallener und abgebrochener Äste bündelt, selbstbewusst, kenntnisreich, bescheiden, im Einklang mit dem Material, mit dem er arbeitet – die Schnur, die Schere, die brüchigen Zweige, die er in die Schubkarre wirft, die Schubkarre selbst, der Rechen, seine abgetragenen Arbeitshandschuhe... Er geht zu anderen Orten, die seine Aufmerksamkeit erfordern, und streichelt dabei den nächsten Baum wie einen Bruder.
Unser Mann bemerkt, dass er weint, und sucht nach einem Taschentuch. Vorher im Bahnhofsbuchladen gab es keine Bücher darüber, wie man Gärtner wird. Aber jetzt will er nur noch das sein, pflegen, saubermachen, beschützen, dem Wetter ausgeliefert sein, mit von ehrlicher Arbeit schwieligen Händen. Er will am Ende des Tages auf einen gut bewirtschafteten Teil der Welt schauen können, zu Recht müde statt genervt und erschöpft zu sein. Er erinnert sich, dass er in seiner Jugend über den Islam gelesen und das Word Unterwerfung darin entdeckt hatte und das dieses Wort die Verantwortung für die Natur bedeutete, die Verantwortung, zu helfen, zu schützen und zu pflegen. Als er in die vermüllte, uringetränkte U-Bahn steigt, fühlt er sich klein. Was hat er aus seinem Leben gemacht? Ist die talentierte, bezaubernde, schöne Schauspielerin aus Brooklyn wirklich so wichtig?
Muss er diesen verrückten Wettlauf um Anerkennung auf dem letzten Platz auf der Werteskala der Unterhaltungsbranche fortsetzen? Wie lange noch würde es ihn interessieren, kleine sexy US-Sticks zu entwerfen?
Hal Hartley, ca. 2013